Hotel Ruanda


Am 11.01.2018  und 18.01.2018 fanden Teil 2 und Teil 3 einer Filmreihe in der Universität Innsbruck statt. Die vier Veranstalter, das Seminar "Soziopsychologie der menschlichen Destruktivität" unter der Leitung von Herr Prof. Wolfgang Weber, die Institutsgruppe Psychologie, der Verein kritische Psychologie Innsbruck und die Kritische Uni Innsbruck zeigte bereits im Dezember "Das radikale Böse".

 

Hintergrund: Genozid in Ruanda, April bis Juli 1994. Er wird auch der "schnellste Völkermord in der Geschichte (Afrikas)" genannt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die ruandische Bevölkerung in "Hutu" und "Tutsi" aufgeteilt, die Aufteilung erfolgte v.a. nach Vermögen, Stand und Beruf, d.h. Hutu waren eher ärmere Bauern, Tutsi waren Städter, Gebildete und Vermögensbesitzer. Bis zum Genozid allerdings war selbst diese schwammige Kategorisierung nicht mehr gültig, da die Leute zwischen den Ständen durch Heirat oder Vermögenszuwachs wechseln konnte. Das Land war von Unruhen geplagt und die Hutu wurden von den Tutsi, die als Elite angesehen wurden, unterdrückt. Später wurde von außen eingegriffen und die Hutu beteiligten sich an der Regierung. Allerdings rebellierten Tutsi, auch mit Unterstützung der Ruandischen Patriotischen Front aus Uganda unter paul Kagame und es kam immer wieder zu Zwischenfällen. Mit April 1994 wurde die Hutu-Regierung von Extremisten abgesetzt, der Präsident getötet und die Hutu machten offen Jagd auf Tutsi, mit dem Ziel, sie und ihre Nachkömmlinge auszurotten. Mit der Machtübernahme der RPF im Juli 1994 hörte der Völkermord auf.
Bis dahin sind ca. 800.000 bis 1.000.000 Menschen gestorben, 75 % der Tutsi und moderaten Hutus.

 

Referat: Ursprung und Aufbau des Bösen. Prof. Wolfgang WEBER eröffnet die Veranstaltung nach der gebührenden akademischen Viertelstunde, gefolgt von einem Referat der Seminarteilnehmerin Frau EBERLE: Ervin STAUB analysiert in "The roots of evil" (1999) das "Böse" bzw. unter welchen Bedingungen Menschen Böses tun. Das Böse sind anhaltende Taten ohne Provokation, aber mit großem Schaden (große Destruktivität). Bei ihm wird das Böse auch als "nicht normal" oder abartig empfunden, spätestens seit Arendts "Die Banalität des Bösen", wissen wir aber, dass das Böse in einen normalen Alltag, in ein normales Leben integriert werden kann.

Der Ursprung des Bösen sind frustrierte (nicht erfüllte) menschliche Grundbedürfnisse wie Sicherheit, Kontrolle oder positive Identität. Destruktive Bedürfnisbefriedigung erfolgt durch eigene Bedürfnisbefriedigung und Hinderung anderer an der Bedürfnisbefriedigung plus den Anderen wird ein Schaden zugefügt. Durch die Frustration der Grundbedürfnisse (z.B. durch Armut) kommt es zu Hilflosigkeit und zu Gruppenbildung ("Evolution des Bösen"). Eine Gewalttat ist noch nicht böse, aber die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass wieder Gewalt angewandt wird und es zu einer Desensibilisierung bzgl. Gewalt in der Tätergruppe kommt. Dann kann es auch geschehen, dass die Moral "umgekehrt" wird: "Sie müssen getötet werden": Die neue Norm der Gruppe ist eine Rechtfertigung; damit verändern sich Individuen und Gruppen.

Kulturelle Einflüsse sind (a) die Sichtweise der Kultur auf andere Menschen ("Ist die Abwertung einer anderen Gruppe Bestandteil der Kultur?"), (b) Gehorsamkeit und (c) das gesellschaftliche Selbstkonzept.

Eine wesentliche Rolle zwischen Täter und Opfer haben Bystander, im Fall des ruandischen Genozids z.B. Frankreich und Belgien, evtl. China und die UNO. Die USA z.B. haben es immer aufgrund historischer Beziehungen (bzw. Innen- und Außenpolitik) vermieden, von einem "Völkermord" zu sprechen, damit hätte die UNO definitiv einschreiten müssen. Ervin Staub bezeichnet die Passivität der Bystander indirekt als böse. Die Persönlichkeit der einzelnen Beteiligten spiele nach (Christoph) BROWNING nur eine geringe Rolle.

 

Film: "Hotel Ruanda". Um 19.45 Uhr beginnt damit der Film. Er basiert auf der Autobiographie von Paul RUSESABAGINA. Es gibt auch eine Biographie von Roméo DAILLAIRE, dem UN-Verantwortlichen in Ruanda, die ebenfalls verfilmt worden ist ("Handschlag mit dem Teufel").

Paul, Hotelmanager im 4-Sterne-Hôtel de Mille Collines, ist per Pass Hutu, was ihn aber nicht sonderlich interessiert. Als Manager hat er durch seine Lieferanten auch mit extremistischen Hutu zu tun und zeigt recht deutlich, dass er nicht "Farbe bekennen" wird. Er behandelt den General (Polizeichef) von Kigali (basiert auf Jean Paul AKAYESU) und den UN-Colonel ("Oliver", basiert auf Roméo DAILLAIRE) gut, um sich im Zweifelsfall ihrer Unterstützung sicher zu sein. Paul ignoriert aber auch Warnungen, dass es bald zum Umsturz kommen wird und so kommt die Welle an Gewalt überraschend. Nachbarn werden ermordet, sein Sohn war davon traumatisiert, im Hotel sind sie aber einigermaßen sicher, es ist gut geschützt und mit regelmäßiger Bestechung werden sie von den Hutu mehr oder weniger in Ruhe gelassen. Aber auch im Hotel wird es chaotisch: Paul nimmt zuerst nur eine "Ladung" Waisenkinder als Flüchtlinge auf, danach werden es mehr Tutsi, die im Hotel Zuflucht finden. Hutu fordern, dass diese ihnen übergeben werden. Nachdem UN-Soldaten ermordet wurden, zieht die UN den Großteil der Soldaten ab, schon vorher haben sie nicht schießen dürfen (Friedensmission). Paul erklärt die Situation dem Besitzer des Hotels in Belgien, der daraufhin Politik-Granden in Frankreich kontaktiert. Auf diese Initiative bekommen die Hutu-Milizen rechtzeitig den Abzugsbefehl, sie waren eigentlich schon ins Hotel eingedrungen. Um frische Nahrung zu organisieren fährt Paul zu seinem früheren Lieferanten (ein Hutu-Extremist) und muss bei der Rückfahrt eine ganze Straße an Leichen sehen, die von den Hutu abgeschlachtet worden sind. Später kommen nochmals einige französische Soldaten, aber zu der Enttäuschung aller sind sie bloß für die Evakuierung von Ausländern abgesandt. Währenddessen wird die Bevölkerung z.B. durch das staatliche Radio aufgestachelt, sie organisieren sich in Milizen und sind mit chinesischen Macheten bewaffnet. Die Flüchtlinge kontaktieren ihre Verwandten und andere Kontakte im Ausland, um Ausreiseerlaubnisse für eine Evakuierung zu organisieren. Die UN-Laster die mit allen abfahren, die ein Visum bekommen haben, werden verraten und angegriffen, aber sie schaffen es zurück zum Hotel. Sie sammeln sich, nehmen alle Flüchtlinge auf und in einem zweiten Versuch schaffen sie es ins PRF-kontrollierte Gebiet zu kommen und sind damit gerettet. Es gibt noch einige Nebenhandlungen, z.B. einem Hutu-Mitarbeiter im Hotel, der sich nach dem Beginn des Genozids in der Präsidentensuite breit macht, durch eine Drohung des Generals wieder zu Sinnen kommt, am Ende aber den Flüchtlingskonvoi verrät.

Nach Zitaten aus dem Film wie "Wie töten die [Tutsi-] Kinder, um die nächste Generation auszulöschen" oder "Fällt die großen Bäume", das Kommando für den Genozid (große Bäume = Tutsi-Eliten) ist die Stimmung im Hörsaal mehr als betreten und emotional, auch dadurch, dass der Film eine sehr nahe und persönliche Sicht dieser (Einzel-) Schicksale zeigt.

 

Referat: Aufarbeitung und Prävention von Genoziden. Es folgt aber das zweite Referat von Frau LENZ. Auch dazu wurde Literatur von Ervin STAUB (2013) hergezogen, der auch persönlich in die Aufarbeitung des ruandischen Genozids involviert war und sich engagiert hat.

Für die Prävention ist es wichtig, sehr früh eine evtl. verhärtende negative Sicht auf eine andere (Sub-) Gruppe zu erkennen und aufzuheben. Das ist z.B. durch andauernden Kontakt möglich, durch gemeinsames Arbeiten und gemeinsam geführte Diskurse, sie müssen aber immer ehrlich und offen sein. Entgegen Browning (s.o.) sind relevante Persönlichkeitseigenschaften, die anfällig für diesen Geschichtsverlauf sind, eine autoritäre Persönlichkeitsausprägung (meist durch die eigene Familie vermittelt), die Orientierung an moralischen Werten und die kognitive und emotionale Empathie, die z.B. durch Erziehung und Bildung vermittelt werden kann: "Inclusive caring" zeigt, dass man Allen helfen solle, es wird v.a. durch gute Vorbilder weitergegeben. die "Moral courage", also die Zivilcourage wird durch Respekt gegenüber Autoritätskonzepten, Verantwortungsbewusstsein der eigenen Handlungen und Aufklärung über die Entstehung von Gewalt vermittelt. Ziel ist es, die Bystander zu aktivieren, sie sollen nicht neutral bleiben.

Nach einem Genozid braucht es Heilung und Versöhnung, sowohl auf Seiten der Opfer, als auch der Täter. Die Täter müssen in den Heilungsprozess integriert werden, damit die Gruppenbildung aufhört und es nicht zu einem rachsüchtigen Teufelskreis kommt - schließlich werden Traumas über Generationen weitergegeben (Bsp.: Jugoslawien-Krieg in den 1990ern). Dazu muss eine allgemeingültig wahrgenommene "Wahrheit" ein sicheres Klima für Zeugen und eine auf der Wahrheit gründende gemeinsame Vergangenheit aufgebaut werden. V.a. bei repräsentativen Kriegsverbrechern soll es Gerechtigkeit und Kompensationsarbeit geben, auch eine juristische Aufarbeitung geben, eine Wiedergutmachung und Wertschätzung. Das Leid der Opfer muss anerkannt werden und Rachegefühle gestoppt werden. Dafür gibt es z.B. eine angeleitete Perspektivenübernahme. Man hat auch, beispielshaft, den Genozid an den Armeniern besprochen, um dann Stück für Stück die eigene Situation einordnen und realisieren zu können.

Die Aufarbeitung in Ruanda umfasst z.B. Aufklärungsworkshops für leitende Personen (Schuld liegt nicht bei den Opfern - Schuld eingestehen) oder einem Radio-Drama, das ab 2004 für acht Jahre lief und in dem sich sehr viele Ruander wiedererkennen konnten. Ähnliche Projekte wurden dann auch für Burundi und den Kongo geschaffen. Als Effekt dieser Interventionen wurde bestätigt, dass die Leute kritischer gegenüber Autoriäteten waren, einsichtiger, offener und empathischer.

Eine friedliche Gesellschaft kann durch eine gemeinsame Identität, demokratische Institutionen, Dialog, harmonische Pluaralität, sowie friedliche Werte und Normen erhalten werden.

Um 22.30 Uhr haben wir, um ein Stück reicher und mit politischen Forderungen für die Integrationsprobleme in Österreich den Abend abgeschlossen.

Teil 3: Killing Fields

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