The Haunting of Hill House (2018) - Empfehlung und Gedanken

The Haunting of Hill House ist äußerlich wohl eine Horrorserie, ein kleiner Thriller vielleicht, tatsächlich ist es aber mehr gut gemachtes Familiendrama im Spuksetting.

Nach dem Trailer folgt eine spoilerfreie Beschreibung, ab dem Abschnitt "das Magische und Märchenhafte" sind Spoiler inklusive. Produziert wurde die Serie als dritte filmische Umsetzung eines Buches von Shirley Jackson von Netflix, für mehr Hintergrundinfos ist die englischsprachige Wikipedia-Seite aufschlussreich.



Die fünf Kinder eines herzlichen Elternpaares wachsen zusammen mit einem freundlichen, älteren Ehepaar in "Hill House" auf, in dem es spuken soll. Die Serie zeigt Folge für Folge das Aufwachsen und das Leben als Erwachsene mit allen möglichen Problemen, Streitereien, Erfahrungen etc., jeweils mit Fokus auf einem der  Familienmitglieder: Steven, der Älteste ist jetzt Fantasyautor, Shirley, die Zweitälteste betreibt ein Bestattungsunternehmen. Bei ihr wohnt auch Theo, jetzt Psychologin. Luke wandert von Enzugsklinik zu Entzugsklinik, seine Zwillingsschwester Nell, die in Psychotherapie ist. Nachdem durch die Kindersicht Einiges erzählt und Fragen aufgeworfen ist klar, dass da etwas Traumatisches war, aber es ist noch nicht fassbar. Es kommt eine Familienfolge mit einem Sturm in der Vergangenheit und einer in der Realität, der die offenen Fragen verdeutlicht. Episode sieben erzählt die Geschichte aus Sicht des Vaters Hugh, dann nochmal eine Sturmfolge. Die Episode zur Mutter Olivia treibt den Spannungsbogen weiter, bis der Spuk in der letzten Folge ein Ende findet.

Ganz entscheidend sind die innerfamiliären Beziehungen zwischen den Geschwistern und je zu beiden Eltern: Wie wer mit wem in Kontakt steht, welche Informationen ausgetauscht und anvertraut sind, Verantwortungsübernahme und "Verrat". Wie die Episodenstruktur schon zeigt, werden aber auch interpersonelle Konflikte und Wahrnehmungen gezeigt, was für die Einzelperson aus der Kindheit wichtig war und wie sich das auf das Erwachsenenleben auswirkt. Mit diesen beiden ausgeprägten Komponenten (inter- und intrapersonell) schlüsselt die Serie die Familie Crane psychologisch auf. Spannend ist z.B. wie viel die Familienharmonie erträgt, auch bei den Cranes gibt es kleine und große Verletzungen und Zwischenfälle, deren Konsequenz manchmal vom harmonischen Verhältnis getragen wird.

Wo Realität und (Kinder-) Phantasie nicht gut trennbar sind, bietet es sich an, Geister und Monster (vielleicht) in die Realität zu holen. Die Horrorelemente sind klassisch gehalten (Knarzender Boden, geheimnisvolle Türen, labyrinthisches Haus, schnelle Cuts, Spinnweben, ein seltsames altes Ehepaar...), wirken aber nie dick aufgetragen, übertrieben oder zum Aufstöhnen einladend. Selbst die Jumpscares sind "natürlich", weil sie sich ins Setting und in die Erzählung ausgezeichnet einfügen. Die Serie (die ja eigentlich auf einem Buch basiert) gibt dem titelgebenden Haus, dem Dreh- und Angelpunkt des Spuks auch eine eigene Persönlichkeit, einen Willen, aber selbst das wird am Ende begreiflich, sodass nach der Serie die horrortypische Paranoia ausbleibt, dafür sind Tränen nicht auszuschließen.

Ein weiterer Aspekt, der dem Horror sein Gruseln nimmt, ist das Magische und Märchenhafte, mit dem gespielt wird: Obwohl alle Beteiligten soweit klar als Menschen dargestellt werden, wird die Mutter gerne als Feenwesen präsentiert, sogar offensichtlich. Sie schwebe mit dem Kopf immer zwischen irgendwelchen Wolken, hat farbintensive "Migräneattacken" (die im Hill House nur noch schwarz sind), trägt auch oft leichte, schwebende Stoffe. Sie ist als Mutter warm, zärtlich und behütend. Der Vater ist ein Erdenmensch. Auch warm und liebend, zudem fleißig, tatkräftig und auch in der Physiognomie robust. Einfach und nicht allzu anspruchsvoll, er erkennt sein Glück in dieser Familie. Er sei es, der sie auf der Erde hält und am "fortfliegen" hindere.

Wenn man den ersten Gedanken weiterspinnen möchte, dann könnte man sagen: Das Haus, als erzählende Kraft oder sonstiges, korrumpiert oder befreit sie. Sie fliegt fort, von einer Halluzination geleitet bringt sich die Mutter um und wird zum Geist, der fortan im Haus wandelt. Als Reaktion wird der Vater vom Erd- zum Höhlenmenschen, er zieht sich langfristig fast vollständig zurück. Am Ende wird es aufgelöst: In Geistesform sind sie beide ans Haus gebunden - so wird das feenhafte bewahrt, aber auch die Erdenbindung - aber das ist tatsächlich nur eine kleine Interpretationsmöglichkeit: Sie trafen sich zuerst in der Mitte, das Verhältnis wurde gestört und zum Ende wieder hergestellt.

Was passiert mit den Kindern, die so nach dem Tod der Mutter und Rückzug des Vaters praktisch beide Eltern verloren haben? Es gibt die ältesten Zwei, die versuchen, handfeste Verantwortung zu übernehmen und dabei einiges an Sensibilität einstecken, aber dennoch sich ständig mit Toten und Geistern auseinandersetzen. Es gibt Theo, bei der die Sensibilität sogar körperlich ausbricht (was in der mütterlichen Linie normal zu sein scheint) und als Kinderpsychologin andere Kinder "retten" will. Es gibt die Zwillinge, die beide noch unter den Erscheinungen leiden, die im Kindesalter begonnen hatten.

Nell, die die jüngste und am festesten an die Mutter gebunden ist bleibt bei der Mutter - auch sie stirbt im Haus, es endet für sie mit einer Vater-Mutter-Kind-Konstellation. Alle anderen werden im Verlauf der Serie und mit dem Finale mit ihrem Trauma konfrontiert und ganz klassisch psychoanalytisch löst sich das Trauma, je mehr davon verstanden wird, woher es kommt und wie es dazu kam. Luke wird clean und Theo lässt eine Beziehung (zu sich wie zu anderen) und eine gesunde Selbstständigkeit zu. Shirley und Steven führten vorher schon vorher ein beständiges Leben, stritten aber, was beigelegt werden konnte, so wie der ganze (lebende) Teil der Familie Crane sich versöhnt hat.

Das "gruslige Ehepaar" ist gar nicht so gruslig, sie sind nette und tragische Nebenfiguren: Seit ihrer Jugend arbeitet sie (Mrs. Dudley) für die Herrschaften im Haus, wie die Familie Crane darin lebt, arbeiten nun beide (Mr. und Mrs. Dudley) für bzw. mit der Familie. Im letzten Drittel erzählt Mr. Dudley Hugh, dass seine Frau Argwohn gegenüber dem Haus hegt. Sie haben eine Tochter, die sie unbedingt vom Haus fernhalten. Was erst sehr spät klar wird: Luke hatte eine Spielfreundin, die jeder als imaginiert abtat. Die Spielfreundin, Abigail, wurde als einzige in einer nächtlichen Teestunde von Olivia im Wahn tatsächlich vergiftet - sie war die Tochter von den Dudleys. Um der Tochter auch später nahe zu sein, wollen sie, dass das Haus stehen bleibt und arrangieren den eigenen Tod im hohen Alter im Haus.

Was es mit dem Hill House auf sich hat, wird nicht vollständig aufgelöst. Menschen, die im Haus sterben, bleiben als Geister im Haus, so viel ist bekannt, sie können auch auf irgendeine Weise mit Lebenden interagieren. Während des Todes können im Haus Sterbende auch außerhalb des Hauses erscheinen (vgl. Nell als "Bent-Neck Lady"). Die Geister im Haus geben dem Haus selbst etwas Lebendiges, zumindest in der Wahrnehmung der darin Lebenden. Vor allem Hugh Crane erwähnt, "dass die Familie wie eine angefangene Mahlzeit für das Haus sei", aber es bleibt offen, ob das Haus einen eigenen Willen, damit ein eigenes Bewusstsein oder Ähnliches hat. Gut möglich, dass das Haus als ein Symbol für Unterbewusstes und elemantare Wünsche konzipiert wurde.

Es gibt also Punkte, die Spekulationen zulassen, wenn man ein bisschen darüber nachdenkt - insofern bleibt es dem Horrorgenre treu: nicht alles aufklären. Und dennoch ein wunderbares kleines psychologisches Spiel, ein tolles Drama.

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