Ö1 zu Gast - Literarische Soiree

Am Mittwoch, dem 13.12.2017 fand im Literaturhaus am Inn in Innsbruck die Aufzeichnung der Literarischen Soiree mit Günter Kaindlstorfer als Moderator statt. Geladen waren Joe Rabl, Gabriele Wild und Erika Wimmer-Mazohl, die sich zu "Tyll" von Daniel Kehlmann, "Im Herzen der Gewalt" von Édouard Louis und "Erbsenzählen" von Gertrude Klemm vorbereitet hatten. So kurz so gut.

Um fit für den Tontechniker sein, beginnt die Veranstaltung mit einem "Warm-up", wobei eher jede Wärme schnell in der Unfreiheit bis Gezwungenheit einer solchen Veranstaltung abkühlt. Sowohl Gäste als auch Publikum inszenieren ein Radioprogramm inklusive Anleitung, wann geklatscht werden muss (was auch nicht wirklich geklappt hat) und Wiederholung, wenn eine Meldung in die Hose gegangen ist - kein Platz für Authentizität. Aber weiter im Programm: Für das Warm-Up werden drei Bücher mittels Quizfragen verlost - Wer 1807 die "Phänomenologie des Geistes" veröffentlichte - der Romanbeginn von "Der Fänger im Roggen" - der Romanbeginn von "Stolz und Vorurteil". Die Mikrofone werden im Weihnachtsgepläkel testgeplaudert (G. Wild shoppt im Internet, außer Bücher, J. Rabl hat eine volle Bibliothek und darf nichts verraten, weil die Frau in der ersten Reihe sitzt und E. Wimmer-Mazohl verschenkt heuer Ausflüge). Weitere drei Bücher werden verteilt - Welche Novelle Gustav Aschenbach als Protagonist habe - der Romanbeginn von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" - der Romanbeginn von "Moby Dick" und die Aufzeichnung beginnt, nachdem das Klatsch-Zeichen vereinbart wurde.

Alle Gäste & Bücher werden brav in Erzählerstimme kurz vorgestellt, es darf geklatscht werden.

Wir kommen gleich zum ersten Titel: Tyll und der Moderator gibt dem Techniker hinter dem Publikum das Zeichen, eine kleine Einspielung zur Vorstellung des Buches laufen zu lassen - was dasselbe Zeichen für Klatschen war. Also nochmal. Kehlmann habe sich etwa fünf Jahre in das Zeitalter des Barock und des 30jährigen Krieges geworfen, habe in schriftstellerischer Freiheit den Tyll Ulenspiegel aus dem 14. Jahrhundert zeitversetzt und das Ganze bei Rowohlt publiziert.

Wild hat das Buch gerne gelesen und der Roman gelingt, weil er ein breites Publikum (vom Hobbyleser zum Literaturwissenschaftler) anspricht. Auch Rabl findet es gelungen, Kehlmann hat es hingekriegt, eine grausame Epoche enthusiastisch-unterhaltsam dargestellt. Der 30jährige Krieg ist eine Fundgrube (an Metaphern z.B) und Kehlmann findet eine tolle erzähltechnische Lösung.

Wimmer-Mazohl befindet Tyll als einen Tausendsassa, der die Situation leichter macht und Kehlmann passt ihn gut in die Zeit ein, aber sie sieht den Roman gegenwartsbezogen (Konflikte, Macht, Krieg), es ist ein als Historienroman getarnter Gegenwartroman und wir müssen aus der Geschichte lernen: Das Süddeutschland im 30jährigen Krieg ist mit Syrien heute vergleichbar. Rabl glaubt, dass es Kehlmann um die Gegenwart geht, aus der Vergangenheit heraus erzählt, es geht Kehlmann auch um die Art des Berichtens, aber er ist manchmal zu deutlich. Wild kann sich mit dem Gedanken des Gegenwartsbezugs nicht wirklich anfreunden, es geht Kehlmann mehr um das lustvolle Erzählen und das Eingraben im Geschichtsmaterial, er versucht auch in der Sprache zwischen dem Barock und dem modernen gut Verständlichen zu mitteln.

Er gibt auch jedem Kapitel eine eigene Struktur und Sprache, sodass man jedes Kapitel einzeln lesen kann - als besonderes Beispiel Kapitel 2, Die Werdung von Tyll. Dass jedes Kapitel ein eigener Kosmos mit eigenen Techniken ist findet auch Wimmer-Mazohl. Es ist ein lustvolles Erzählen, aber auch die Abgründe des Lustigen und der Komik werden bedacht, manchmal ist es allerdings "zu sehr" - und geht nicht mehr in die Tiefe. Wild fragt, ob die Ironie (nur) für den Leser entsteht, Wimmer-Mazohl gibt eine Erzählung des Winterkönigs und seiner Frau als Beispiel.

Der Moderator wirft ein, dass es ja nicht nur ein komisches, sondern auch trauriges und entzetzliches Buch sei, aber Wimmer-Mazohl entkräftet sein gegebenes Beispiel als "hoffnungsvoll" und nennt es einen magischen Realismus. Rabl gibt an, dass eben beides da ist (Komik und Grausamkeiten), aber das ist ja auch gut so. Seine Lieblingsszene, die sich in diese Aussage gut einbettet ist die Henkersmahlzeit Tylls Vaters, in der er wundervolle Speisen eines Meisterkochs aufgetischt bekommt und dann erst merkt, wie sehr er die Jahre Hunger gelitten hat.

Der Moderator rezitiert eine Kritik, dass "Tyll" zwar kunstvoll gemacht wäre, aber keine existenzielle Tiefe besäße, das Leseerlebnis sei nicht nachhaltig (Kehlmann als guter Jongleur, der eben kein Magier sei). Rabl sieht den Grund dafür in den schönen Bildern und Panoramen, sowie in den Kapiteln, die schnell umschwenken und so keinen durchgängigen Plot erzählen oder die Identifikation mit einer Figur erlauben würden. Wimmer-Mazohl bestätigt, dass die Tiefe fehlt, er ist Jongleur, Komiker, Märchenerzähler, aber es berührt wenig. Die Kunst des Schreibens erkennt sie aber. Mit Tontechnischen Problemen kann Wild die Einwände nachvollziehen, ist aber zwiegespalten und nennt es hin- und hergerissen "streberhaft", in sich perfekt und wunderbar, aber so im Inneren glänzend, dass es in ihr nicht nachglänzt.

Die "Diskussion" ist ruhig und geordnet. Der Moderator stellt Fragen an einzelne Gäste, diese beanworten und geben an den Moderator zurück, manchmal antworten sie auf andere Redebeiträge, heiße Emotionen sind keine dabei oder gut versachlicht - aber auch die Beiträge sind ohne besonderen Tiefgang. Es ist ein nettes Frage-Antwort-Spiel.

Das zweite Buch kommt zum Zug, "Im Herzen der Gewalt", auch hier wieder eine Einspielung: Edouard Louis schreibt autobiographisch, kommt aus einem trostlosen Dorf in Nordfrankreich und wurde für seine Homosexualität diskriminiert, mit dem Auszug wurde es besser. In diesem Buch studiert Edouard Soziologie in Paris, er trifft einen hübschen Afgahne aus Kabul, den er mitnimmt, sie haben einige Male Sex, erzählen sich die Kindheitsgeschichten etc. bis in den frühen Morgen. Da erwischt Edouard ihn beim Klauen, will ihn zur Rede stellen und die Situation eskaliert - der Kabüle versucht ihn mit einem Schal zu erwürgen, zieht eine Pistole und vergewaltigt ihn. Diese Geschehnisse werden mehrmals erzählt, aus verschiedenen Erzählperspektiven.

Rabl befindet es als einen intensiven und vielschichtigen Text und kritisiert die Übersetzung. Der originale Titel, "L'histôire de la violence" trifft den Kern besser, es geht um die Geschichte und die Entwicklung dieser Gewalt. Wild meint, es ist kreisförmig oder prismenartig erzählt (mehrere Erzählweisen der selben Nacht. Obgleich der einfachen Sprache und Thema hat es unglaublich berührt, es ist "eindringlich eingedröselt". Der Moderator wirft ein, dass es mehrere analytische, sowie auch unmittelbar erzählerische Ebenen gibt.

Mehr des Abends gibt es leider nicht.

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