Berlin und Schuld(un)fähigkeit

Letztens wäre wieder die Junitagung des Vereins "Forensische Psychiatrie und Psychologie Berlin" an der Charité gewesen, als Ersatztermin für die geplante Tagung letzten Jahres zum Thema verminderte Schuldfähigkeit. Außer der Reiselust spricht viel für den Kongress: Psychologie ist kulturspezifisch, zumindest in vielen Themen, und vielleicht auch sprachspezifisch, aber nicht länderspezifisch; auch das Thema nicht wirklich.

Zum Thema: Schuldfähigkeit ist in Österreich und Deutschland ähnlich konzipiert. Was im deutschen Strafrecht "Schuldfähigkeit" heißt, ist in Österreich die "Zurechnungsfähigkeit". Die Paragraphen zur Frage, ob Schuldfähigkeit überhaupt besteht, oder sogar eine Schuldunfähigkeit vorliegt, sind sogar fast wortgleich. Es gibt einige grobe Kategorien, die ausschließen, dass eine Person wirklich in freiem Willen und Geistesgegenwärtigkeit eine Straftat begangen hat, darunter fallen v.a. psychische Störungen auf dem Niveau von Psychosen, schwere Persönlichkeitsstörungen und etwa schwere Intellligenzminderungen. Straftaten während Alkoholisierung oder anderem Rausch sind anderweitig geregelt. Es gibt allerdings den Unterschied: das deutsche Strafrecht unterscheidet keine, variabel verminderte oder volle Schuldfähigkeit. Diese Abstufung ist in Österreich nicht da, es gibt nur die zwei Optionen: Zurechnungsfähig oder nicht zurechnungsfähig. Nichtsdestotrotz: Tolles Thema. 

Gutachten über Schuldfähigkeit erstellen in Österreich meistens Psychiater, und glaubt man dieser Qualitätsanalyse (entstanden wohl im Zusammenhang mit einer Doktorarbeit an der Uni Ulm), sind die Ausführungen mitunter problematisch. Das häufigst eingesetzte standardisierte Instrument ist der Persönlichkeitstest, das macht Sinn, allerdings müsste der Einsatz von projektiven Verfahren wie dem Rorschachtest oder (schlimmer) der Baumtest eigentlich gut begründet werden. Argumentiert man, dass solche projektive Verfahren mehr Platz für die erfahrungsgeleitete Intuition des Gutachters oder der Gutachterin lassen, ist z.B. zu hinterfragen, ob dafür nicht sowieso Platz im (frei gestaltbaren) diagnostischen Gespräch ist. Wird ein solches Verfahren als Unterstützung für die Intuition des Gutachters oder der Gutachterin eingesetzt - z.B. möchte er/sie wissen, wie der oder die zu Begutachtende auf bestimmte Reize reagiert oder handelt, über Gesprächsführungstechniken hinausgehend - sollte das dann auch so beschrieben werden und das Verfahren nicht als schlimmstenfalls alleinstehendes "standardisiertes" diagnostisches Instrument dargestellt werden. Das stünde zumindest im Einklang mit dem wissenschaftlichen Anspruch auf Transparenz, egal ob projektive Verfahren befürwortet werden oder nicht.

 

Foto Zeughaus Berlin (Historisches Museum)

Der Kongress jedenfalls wurde leider, aber verständlicherweise, in den September verschoben, die Reiselust war aber stark genug, um dennoch für ein paar Tage nach Berlin zu fahren, raus aus den Bergen. Die Reise selber war abenteuerlich. Obwohl die meisten pandemiespezifischen Reisebeschränkungen aufgehoben waren, hatten wir ein paar Pannen - wer könnte auch mit Tornardos in Tschechien rechnen? Die ÖBB war zum Glück noch erreichbar und sehr hilfsbereit, so war die Ankunft nur um ein paar Stunden verschoben. Die Stadt ist ja immer nur in kleinen Happen erkundbar, der Teil dieses Jahres: Das historische Museum. Wenn nicht besonders kritisch, ist die Sammlung zeitlich sehr breit. Ein zusätzlicher Fun-Factor ist die Menge an Ausstellungsgegenständen, die aus der jeweiligen Zeit stammen oder die Zeit darstellen und alles sehr anschaulich machen. Dabei beschränken sie sich nicht nur auf Alltagsgegenstände, sondern z.B. auch Gemälde und umfangreiches Kartenmaterial. Andere multimediale Optionen sind pandemiebedingt ausgeschalten. Das Schöne bei einer Reise in den Norden ist ja auch der spürbare Mentalitätsunterschied. In Berlin quatschen "die Leute" ganz zwanglos mit Fremden, diese Freizügigkeit ist in Österreich wesentlich weniger verbreitet. Ganz großartig zum Zeichnen wäre der Anhalterbahnhof und der Gropius-Bau, ganz spontan auch die Kaninchenplage im Tiergarten oder fresswütige Spatzen in der Stadt, wie der gesamte Klassizismus unter den Linden (Wie baut man den Straßennamen grammatikalisch richtig in einen Satz ein?). So aber ging's wieder Richtung Süden, mit Zwischenstopp in Bayreuth - ein Wagner-Themenpark! Das hat auch nochmal Gelegenheit gegeben, die verschiedenen Landschaftstypen im Nord-Süd-Verlaufs Deutschlands zu bewundern und die allmähliche Steigung, Bebuschung, Bewaldung wahrzunehmen. Ein großer Streitpunkt sind ja Windräder, ich persönlich sage dazu: Der futuristische Eindruck durch die Windräder verleiht der Weite etwas Erhabenes.

Kommentare