Besonderheiten bei Depression im Alter

Mittlerweile ist die Depression ja eine psychische Krankheit, über die verhältnismäßig offen und öffentlich gesprochen wird, zum Glück. Depressionen sind wahnsinnig komplexe Krankheiten, umso mehr gewusst und geteilt wird, desto besser für die Versorgung der Betroffenen und die Forschung dazu. Depression ist eine Krankheit die zeigt, wie wichtig es ist, Menschen nicht alleine zu lassen und mit Menschen zu reden.

Diese Öffentlichkeit hat mit vielen Neurungen in der Gesellschaft gemein, dass sie vor allem von der jüngeren Hälfte betrieben wird bzw. dort ankommt. Dabei ist Depression im Alter ein häufiges Phänomen. Man nimmt an, dass etwa zehn Prozent der über 60jährigen an einer behandlungsbedürftigen Depression leiden. Was das ganze besonders prekär macht: Einerseits ist Depression im Alter ein Risikofaktor, an anderen körperlichen wie psychischen Krankheiten weiter zu erkranken. Andererseits ist eine Depression eine Komplikation für bestehende Erkrankungen, eine weitere Belastung, die den Verlauf einer bereits bestehenden Krankheit verschlimmern kann.

Es gibt einige "Risikofaktoren", an einer Depression zu erkranken, deren Erscheinen im Alter eher wahrscheinlicher wird. Das Geschlecht bleibt in den meisten Fälle gleich, aber sogenannte "Stressful Life Events", also belastende Lebensereignisse, wie z.B. der Tod eines nahestehenden Menschen, Trennung, Umzug, Arbeitsverlust und ähnliches, wird eher wahrscheinlicher. Besonders dadurch, dass vermehrt Freunde und mitunter auch der Ehepartner versterben. Andere Risikofaktoren sind frühere depressive Episoden oder etwa eine schwere körperliche Erkrankung.

Neben Risikofaktoren gibt es auch Faktoren, die ein wenig "schützen". Dazu zählt zum Beispiel Unterstützung aus dem sozialen Umfeld, also Freunde und Familie, die einen aufbauen können. Zu den Schutzfaktoren zählen auch eigene Fähigkeiten, die man ausbauen und auf die man stolz sein kann. Tendenziell nehmen die Fertigkeiten im späteren Lebensalter aber ab (z.B. durch eingeschränkten Bewegungsradius) bzw. es kommen kaum neue Hobbies etc. dazu - und damit bleiben etwa auch die Erfolge aus, einen Berg erklimmt zu haben, etwas mit eigenen Händen gemacht zu haben zum Beispiel.

Die Depression im Alter ist manchmal auch nicht ganz leicht erkennbar: Oft klagen die Patient*innen selbst eher über somatische Beschwerden, also zum Beispiel Schmerzen, statt über Gefühle von Hoffnungslosigkeit, fehlender Energie und Antrieb. Auch Scham bei den Betroffenen ist häufig. Daher zieht man in der Diagnostik idealerweise Angehörige hinzu, die zum Beispiel berichten können, wenn sich der Patient oder die Patientin ungewöhnlich stark zurückgezogen hat oder ein anderen verändertes Verhalten gezeigt hat.

Auch wenn die Betroffenen weniger oder anders von den Symptomen der Depression berichten, die Diagnosekritieren sind dieselben. In Österreich zieht man dafür das ICD-10, also das Krankheits-Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation, zu Rate. Dort sind im Kapitel F3 die affektiven, also die Stimmungsbezogenen, Krankheiten beschrieben. Mögliche Varianten sind eine wiederkehrende Depression, eine einzelne (leichte, mittlere oder schwere) Episode, eine Depression mit Wahnsymptomen (z.B. Verarmungswahn, Versündigungswahn), anhaltende depressive Störungen.

Wenn eine Depression einmal erkannt wurde, und eine organische Ursache ausgeschlossen wurde (z.B. durch Hirntumor oder Schilddrüsenunterfunktion) gibt es zwei bzw. drei "koservative" Wege: Einerseits die Psychotherapie, andererseits die Pharmakotherapie (also die Einnahme von Psychopharmaka), sowie eine Kombination aus beidem.

In der Psychotherapie wird vor allem durch das Gespräch gearbeitet, es gibt aber auch "Therapieschulen", die auch andere Mittel nützen, z.B. Aufstellungen, Elemente aus dem Theater, Hausübungen etc. Die bekanntesten Therapieschulen sind (Kognitive) Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie (inkl. Psychoanalyse) und systemische Therapie. Gewöhnlich gibt es Gruppensitzungen oder Einzelsitzunge zu etwa 50 Minuten, wobei die individuell angepasst werden (müssen), z.B. eine kürzere Zeit wenn der Patient oder die Patientin schneller müde wird oder schlecht hört, und bestenfalls in Verbindung mit Angehörigen und evtl. bestehenden Sozialdiensten.

In der Pharmakotherapie werden bei Depression "Antidepressiva" verschrieben. Das sind Medikamente, die speziell bei Depressionen wirken, wobei es, ähnlich wie bei der Psychotherapie, verschiedene Arten davon gibt. Die wichtigsten Wirkklassen heißen "Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer" (SSRI), "Trizyklische Antidepressiva" (TZA) und "Monoaminoxidasehemmer" (MAOH). SSRIs haben im Regelfall das beste Verhältnis zwischen Wirkung und Nebenwirkungen. Allen Wirkklassen ist gemeinsam, dass sie mehrere Wochen brauchen können, bis die Wirkung einsetzt, wobei die Nebenwirkungen meist ab Beginn der Einnahme auftreten. Bei älteren Patient*innen muss natürlich das Medikament mit bestehenden Medikamenten abgeglichen werden, ob es unerwüschte "Interaktionen" gibt. Außerdem gibt es einige Nebenwirkungen, die bei älteren Patient*innen besonders gefährlich werden könnten: Eine motorische Unruhe mit Sturz ist etwas anderes, ob man 25 oder 75 Jahre alt ist. Die Wirkweise von Psychopharmaka verändert sich mit dem Alter, da der Wirkstoff, einfach gesagt, langsamer abgebaut wird, gibt man von vornherein eine niedrigere Dosis.

Daneben gibt es auch noch alternative Behandlungsmethoden. Bei Depression im Alter, wenn Psychopharmaka nicht wirken und bereits eine andere Wirkklasse ausprobiert wurde, kann z.B. eine Elektrokonvulsionstherapie (EKT) gemacht werden. Das ist eine Therapie, bei der meist nur an einer Kopfhälfte kleine Elektroschocks gegeben werden. Durch den elektrischen Stuhl in den USA, sowie Darstellung über grausam angewandte Elektroschocktherapie z.B. zur "Heilung von Homosexualität" hat die EKT bei uns keinen besonders guten Ruf, wird allerdings dennoch immer öfter angewandt. Bei korrekter Anwendung, die der Normalfall ist, sind keine Schäden zu erwarten. Zu den häufigeren Nebenwirkungen gehören z.B. kleine Gedächtnislücken und sind damit im Vergleich zu manchem Psychopharmaka "harmloser".

Das waren einige Besonderheiten bei Ausprägung, Diagnostik und Behandlung von Depression bei älteren Patient*innen. Wichtig ist: Menschen, egal welchen Alters, nicht alleine lassen und mit ihnen reden, über Gefühle und über Gott und die Welt. Gut lesbar als weitere Lektüre zum Thema ist z.B. "Depression im Alter" von Hautzinger beim Verlag Beltz. Ich hab dazu noch andere Bücher oder Ausschnitte dazu gelesen, die Quellen sind:

Bäuml, J., & Hewer, W. (2003). Elektrokrampftherapie (EKT) und repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS). In H. Förstl, Lehrbuch der Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (2. Ausg., S. 249-258). Stuttgart: Thieme.

Benkert, O., Hautzinger, M., & Graf-Morgenstern, M. (2016). Psychopharmakologischer Leitfaden für Psychologen und Psychotherapeuten (3. Ausg.). Berlin: Springer.

Berthold, H. K. (2020). Leitfaden Geriatrie Medizin. München: Elsevier.

DGPPN. (2015). Unipolare Depression. Langfassung. Von S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/nvl-005l_S3_Unipolare_Depression_2017-05.pdf abgerufen

Dierkes, S. (2019). QT-Zeit im EKG - Nebenwirkungen von Medikamenten. Von Cardiopraxis: https://www.cardiopraxis.de/qt-zeit-im-ekg-nebenwirkungen-von-medikamenten abgerufen

Dilling, H., Mombour, W., & Schmidt, M. H. (2015). Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F) Klinisch-Diagnostische Leitlinien (10., überarbeitete Ausg.). Bern: Hogrefe.

Hautzinger, M. (2016). Depression im Alter (2. Ausg.). Basel: Beltz.

Laux, G. (2003). Antidepressiva. In H. Förstl, Lehrbuch der Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (2. Ausg., S. 240-248). Stuttgart: Thieme.

Lieb, K., Heßlinger, B., & Jacob, G. (2016). 50 Fälle Psychiatrie und Psychotherapie (5. Ausg.). München: Elsevier.

Niklewski, G., & Baldwin, B. (2003). Depressive Erkrankung. In H. Förstl, Lehrbuch der Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (2. Ausg., S. 439-448). Stuttgart: Thieme.

 

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