Bedrohliche Körper und Bedürfnisse

Am 21. März dieses Jahres (= Internationaler Down-Syndrom-Tag) veranstaltete der Verein "Netzwerk Geschlechterforschung" gemeinsam mit anderen in der Sowi den Vortrag "Bedrohliche Körper und Bedürfnisse" mit Volker Schönwiese und Hemma Mayrhofer, moderiert von Petra Flieger. Kurzum: Es geht um Andreas Rett, bayrisch-österreichischer Arzt, berühmt ab ca. den 1950ern für sein Tun mit behinderten Kindern ("Rett-Syndrom", "Rett-Klinik").

Wer war Andreas Rett?

Erster Vortragender ist Volker Schönwiese, studierter Psychologe in Innsbruck mit viel politischem Engagement gegen Diskriminierung. Er sitzt selbst im Rollstuhl und hat mit Rett schon persönlich diskutiert (Video) und erklärt kurz, wer Andreas Rett war.

Grundsätzlich: Arzt und Tiroler. Seine Familie ist früh von seinem Geburtsort in Bayern nach Innsbruck gezogen, dort ist Rett bald der HJ beigetreten und wurde Gruppenführer. Da er ein Nazi war, wurde er in der Nachkriegszeit zunächst nicht als Student zugelassen, bis er seine Überzeugungen dementiert hat.
Als Arzt in Wien wurde er u.a. durch seine politische Tätigkeit berühmt (Einführung des Mutter-Kind-Passes, erster Vorsitzender des Behindertenbeirats, div. Organisationen wie die Lebenshilfe ins Leben gerufen). Rett hat auch ordentlich geforscht und publiziert (Rett-Syndrom), einige Preise bekommen und im Wiener Krankenhaus eine Abteilung zur Behandlung von Behinderten eingerichtet, die so einmalig war.
Er war einer von 13 Ärzten in der SPÖ mit nationalsozialistischer Vergangenheit. Der wohl berühmteste von diesen war Heinrich Gross, sie haben zusammen publiziert (u.a. über eine Forschung mit Leichenteilen von Kindern, die Opfer der Euthanasie geworden sind).

Was Behinderte betrifft, so hat er ihre Situation soweit verbessert, als dass sie als Kranke behandelt werden. Rett wollte, dass Behinderte lebenslang den Status von Kindern haben, d.h. betreut werden, allerdings nur in gesonderten Einrichtungen, von Integration und Inklusion wie in Italien ("Behinderten-WGs") oder in Finnland hielt er nichts (vgl. Video oben), u.a. da die "Behindertenromantik" eine Herabsetzung des Status der Ärzte galt.

Wirkung Retts in den 50ern bis in die 80er

Es folgt ein Vortrag von Hemma Mayrhofer. Sie hat Soziologie in Wien und Berlin studiert und unterrichtet in Wien, Hemma Mayrhofer gehört zum Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie. Ihr Schwerpunkt liegt in der Sozialen Arbeit und Aussonderung / Nichtaussonderung. Sie vertieft den Vortrag zum behinderten- und biopolitischen Wirken Andreas Retts, begleitend dazu gibt es online eine Studie. Die Moderatorin übersetzt den Vortrag Stück für Stück in einfache Sprache, zwei Übersetzerinnen in Gebärdensprache sind schon den ganzen Vortrag aktiv.

Zentral ist, dass Rett die Sterilisation behinderter Mädchen und Schwangerschaftsabbrüche bei Bestehen einer Behinderung der Mutter empfohl bis propagierte - im Sinne der eugenischen Vernunft. Er nahm sie aber nicht selbst vor.

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