Warten auf Godot


90 Minuten im Innsbrucker Kellertheater.
90 sehr intensive, sehr laute und geruchsvolle Minuten.

Das Kellertheater ist eng, was parfümierte Gäste unbeliebt macht, oder es gibt ja auch die, die nicht einmal wissen, wie stark sie riechen - kraftvolles Shampoo. Das nur am Rande.

Das Stück, (fast) ausverkauft, beginnt auf einer einfachen Bühne, ein Ast am Rande und ein Weg als Boden. Hinter bzw. unter der Bühne ist ein Bein, das den Rest des Körpers mit sich zieht und auf die Bühne wirft und wir sehen einen Mann, in den 40ern oder Anfang 50er, genauso wenig frisch wie sein Jackett oder sein Hut, selbst der Judenstern ist patchwork aufgemalt. Erfolglos versucht er seinen Schuh auszuziehen, wie er über das Stück erfolglos versucht, seine Situation (als Landstreicher) zu verbessern oder sich aufzuhängen. (Estragon - "Gogo" - Helmut Häusler)

Es kommt ein zweiter dazu, ebenfalls nicht ganz frisch (Knoblauch sei gut für die Nieren), hat aber ein gemütliches Gesicht, unrasiert und eine Alki-Nase. Er bekommt den Schuh ab, ist auch weniger motiviert, was das aufhängen betrifft und erinnert: Sie warten auf Godot. Wann oder woher die Info stammt, oder wer dieser Godot ist, bleibt selbst den Landstreichern nebulös. Aber bis Godot kommt, müssen sie sich die Zeit vertreiben. Kreativ wie sie sind, wechseln sie zwischen Deutsch, Tirolerisch, Englisch und Französisch, trennen sich (doch nicht) und versichern sich in einem Trauerspiel und Trauergeschrei, dass sie warten. (Vladimir - "Didi" - Elmar Drexel)

Wie schön, dass Gesellschaft kommt: Pozzo, mit Lucky an der Leine. Pozzo ist nicht Godot, denn er ist P-P-P-Pozzo - als Mensch, als Ebenbild Gottes hat man sicherlich schon einmal von ihm gehört. Ein frischer Lebemann, das Gesicht weich, das Lächeln breit, es sei denn, Lucky döst. Der feine Herr Pozzo mit anständigem Aufzug und Peitsche im Stiefel hält nämlich am Seil seinen Leibeigenen Lucky: im befleckten Unterhemd, gepäcktragend, in boshaften Verrenkungen, Augenzucken und leichtem Knurren (oder Schnarchen?). Obwohl ein feiner Herr passt er sich ganz gut in das Gespräch ohne Strang ein, unterhält, picknickt und schreit beizeiten. Lucky indes ist ein guter Hund, er wolle aber mit seiner guten Manier nur Pozzo davon abhalten, ihn zu verjagen. Fremden gegenüber ist er nicht besonders freundlich, er beißt Gogo ins Bein. Dafür tanzt er später ("Netztanz - er tut so, als wär er in einem Netz gefangen") und denkt vor (ein Monolog zwischen Theodizee und Radeln). Ein kurioses Schauspiel zwischen heftigem Mitleid und Ekel. In der zweiten Reihe auch recht laut (man bedenke die Peitsche). (Pozzo - Michael Walde-Berger & Lucky - Lucas Zolgar).

Die Gesellschaft ist weg, es wird dunkel, Godot ist nicht da. Es kommt aber ein Junge und teilt mit, dass Godot nicht kommen wird, aber morgen bestimmt. Der Junge wird gut behandelt, aber sein Bruder wird geschlagen. Es erinnert an Gogo, der anscheinend auch regelmäßig geschlagen wird, wenn er wo über Nacht unterkommt, schlafen kann er wegen Alpträumen sowieso nicht / kaum. Der Junge geht, die Nacht kommt. Die Landstreicher überlegen, ob es besser wäre, sich zu trennen, lassen es aber bleiben und suchen sich jeweils eine Unterkunft. (Junge - ?)

Der nächste Tag: Ein kleines Grün ist gewachsen und die zwei kommen wieder zusammen. Gogo erinnert sich nicht an gestern, Didi bemerkt aber das Grün (was Gogo nicht sehen kann). Wieder suchen sie einen Zeitvertreib bis Godot kommt und sind ganz lustig und ganz depremiert miteinander, wieder überlegt Gogo, wie er sich wohl aufhängen könne ("Aber morgen bringen wir einen Strick mit"). Immer wieder wollen sie wohin, aber - sie warten ja auf Godot.

Pozzo kommt wieder mit Lucky, diesmal zieht Lucky seinen Herrn mit sich und beide krachen auf die Bühne. Für die Landstreicher gilt es zu entscheiden: Helfen sie ihm gehttps://www.kellertheater.at/spielplan-kellertheater/warten-auf-godot/gen eine "freiwillige" Spende oder lassen sie es. Weg können sie ja eh nicht. Pozzo stürzt ganz hinter der Bühne ab, scheint aber nicht tot zu sein. Später erzählt er: Er ist blind. Eines Tages blind geworden. Und Lucky ist stumm. Eines Tages stumm geworden, und eines Tages werden sie wohl taub werden. Die Landstreicher stellen fest, dass ihre Gesellschaft sich verändert hat.

Wieder geht der Tag irgendwie um und wieder haben sie sich nicht getrennt, dafür umarmt, wieder ist Godot nicht gekommen und wieder dafür der Junge, der sich nicht erinnern kann, schon einmal hier gewesen zu sein. Vielleicht war das gestern Abend ja sein Bruder. Der Bruder sei krank. Morgen wird Godot kommen. Bestimmt.

Von viel mehr als den ersten Eindrücken zu schreiben, wäre sinnlos. Es wirkt sehr gewaltig - mit Betonung auf "Gewalt". Aggression gegeneinander, Aggression gegenüber sich selbst (v.a. Gogo), deprimierende Stimmung und deprimierende Charaktere, wohl gewachsen aus dem Nichts-Tun und Nichts-zu-tun-haben, recht verdrießlich und umso trauriger und trotzdem komisch sind die lustigen Versuche, sie aufzuheitern, sich gegenseitig zu motivieren und zu hoffen, dass Godot doch noch kommt und sie aus dem Schneider sind. Die Dialoge dazwischen betreffend die Gauner, die mit Jesus gekreuzigt worden sind und der Erlösung unterstreichen nochmal den zutiefst verstörenden Tag (Tage) ohne ein Ziel, auf das sie wirklich hinarbeiten könnten.

Was die Figuren betrifft, so darf man (je nach Lesart) ihre psychische Integrität mehr als bezweifeln. Das betrifft natürlich auch ihre Wahrnehmung. In einem Stück, in dem es um das Warten geht, ist das besonders lustig - sie spielen auch gerne mit der Zeit. Eine nette Szene aus dem zweiten Akt: Pozzo ist wütend, da Didi wissen will, wann er erblindet sei, die Angabe "eines Tages" solle Didi doch reichen, die Zeit sei egal. Dabei führt Pozzo einen Koffer mit, gefüllt mit Sand. Es könnte also zwischen den zwei Szenen auch mehr als nur eine Nacht vergangen sein. Humorvoll oder bedrückend.

Die Schauspieler sind gut. Richtig gut. Das Alter ist perfekt, das macht die Situation nochmal tragischer (keine Jungspunde, die noch durch einen Gönner ein gutes Leben haben werden). Die Gesichtsarbeit ist in den entscheidenden Szenen hervorragend, wie auch generell die Körpersprache gut geprobt ist. Beim zweiten Paar - Pozzo und Lucky - ist zuerst einmal der Schrecken, wie Lucky steht, sich bewegt, was er mit seinen Augen und seinem Mund macht, es wirkt nicht besonders menschlich. Meine Verehrung oder mein Beileid an den Schauspieler. Pozzo wird gut gezeichnet, im ersten Akt die ausladenden Bewegungen eines wohlhabenderen Herren (oder einer, der es zu sein denkt) und ruckartigem Wechsel zwischen lächelnd-weich zu peitschenknallend-laut; im zweiten Akt der Blinde, mehr kriechend und nach Hilfe suchend.

"Warten auf Godot" im Kellertheater will wohl nicht schmeicheln und leicht unterhalten, sondern einen Eindruck hinterlassen - und das hat es bei mir.

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